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Erbrechtsrevision – Neuerungen sowie Auswirkungen auf bereits bestehende Testamente und Erbverträge
Das seit über hundert Jahren geltende Erbrecht wurde einer umfassenden Revision unterzogen und den neuen Lebensrealitäten und Familienformen angepasst. In der parlamentarischen Wintersession 2020 wurde der erste Teil der Erbrechtsrevision verabschiedet. Das neue Recht trat per 1. Januar 2023 in Kraft. Im Zentrum dieser ersten Etappe stand die Reduktion der Pflichtteile und die damit einhergehende Erhöhung der Verfügungsfreiheit des Erblassers. Damit wurde dem Erblasser mehr Spielraum bei der Nachlassplanung eingeräumt, was dazu führt, dass den neuen Beziehungs- und Familienformen besser Rechnung getragen werden kann, indem der Erblasser z.B. einen grösseren Teil seines Nachlasses an seine Lebenspartnerin vererben kann. Die Erhöhung der «frei verfügbaren Quote» bringt automatisch auch Erleichterungen bei der Unternehmensnachfolgeplanung durch Erbgang oder Erbvorbezug mit sich, da dem Erblasser mit der Erbrechtsrevision mehr Entscheidungsautonomie eingeräumt wurde.
Nachfolgend werden die wichtigsten Neuerungen sowie die Auswirkungen der Erbrechtsrevision auf bestehende Nachlassplanungen näher erläutert.
Welches sind die wichtigsten Neuerungen?
a) Reduktion der Pflichtteile
Vorab ist festzuhalten, dass die gesetzlichen Erbanteile sowie die Erbberechtigung mit der Revision nicht geändert wurden. Der Nachlass wird somit, sofern keine Verfügung von Todes wegen (Testament oder Erbvertrag) besteht, genau gleich aufgeteilt wie dies bereits vor der Revision der Fall war. Es wurde jedoch durch die Reduktion der Pflichtteile die Verfügungsfreiheit des Erblassers erhöht. Der Kreis der pflichtteilsgeschützten Erben wurde im bisher geltenden Recht durch Art. 470 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) festgelegt. Anspruch auf einen Mindestanteil am Erbe hatten Nachkommen, Ehegatten bzw. eingetragene Partner und, sofern keine Nachkommen vorhanden waren, auch die Eltern des Erblassers.
Mit der Gesetzesrevision wurde der Pflichtteil der Nachkommen von drei Viertel auf die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs gesenkt und der Pflichtteil der Eltern fiel gar gänzlich weg. Gleich blieb hingegen der Pflichtteil des überlebenden Ehegatten bzw. des überlebenden eingetragenen Partners, welcher ebenfalls die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs beträgt.
b) Erhöhung der verfügbaren Quote bei der Nutzniessung
Haben die Erblasser gemeinsame Nachkommen, konnte gemäss bisher geltendem Recht dem überlebenden Ehegatten die Nutzniessung am gesamten an die gemeinsamen Nachkommen fallenden Nachlass eingeräumt werden. Eingetragene Partner können seit dem 1. Januar 2018 das Kind ihres eingetragenen Partners adoptieren (sog. Stiefkindadoption), womit sie ebenfalls gemeinsame Nachkommen haben können und ihnen dadurch die Möglichkeit der Einräumung der Nutzniessung ebenfalls offensteht. Die bei der Zuweisung der Nutzniessung bestehende verfügbare Quote wurde den reduzierten Pflichtteilen angepasst. Diese verfügbare Quote beträgt nun die Hälfte statt eines Viertels des Nachlasses. Die Nutzniessung soll es dem überlebenden Ehegatten ermöglichen, den bisherigen Lebensstandard beizubehalten. Dies erfolgt, indem der überlebende Ehegatte für die frei verfügbare Quote von neu der Hälfte als Erbe eingesetzt und ihm an der anderen Hälfte des Nachlasses die Nutzniessung eingeräumt wird.
c) Wegfall des Pflichtteils für den überlebenden Ehegatten im Scheidungsverfahren bzw. für den überlebenden eingetragenen Partner im Auflösungsverfahren
Gemäss bisher geltendem Recht fiel der Pflichtteilsschutz des überlebenden Ehegatten erst mit der formell rechtskräftigen Scheidung bzw. des überlebenden eingetragenen Partners mit der formell rechtskräftigen Auflösung dahin. Das neue Recht sieht nun vor, dass der überlebende Ehegatte bzw. der überlebende eingetragene Partner seinen Pflichtteilsanspruch verliert, wenn beim Tod ein Scheidungsverfahren bzw. ein Auflösungsverfahren hängig ist, d.h. dieses durch ein gemeinsames Scheidungsbegehren bzw. gemeinsames Auflösungsbegehren oder nach zweijährigem Getrenntleben bzw. bei eingetragener Partnerschaft nach einjährigem Getrenntleben durch Klage eingeleitet worden ist. Auch hier gilt es zu beachten, dass der gesetzliche Erbanspruch des überlebenden Ehegatten bzw. des überlebenden eingetragenen Partners weiterhin bestehen bleibt, sofern ihm dieser nicht in einer Verfügung von Todes wegen (d.h. in einem Testament oder Erbvertrag) entzogen wird. Diese Regelung gilt auch für die Begünstigungen aus einem Testament, einem Ehevertrag oder aus einem Vermögensvertrag. Unter Vorbehalt einer abweichenden Anordnung sind solche Begünstigungen hinfällig, wenn im Todeszeitpunkt ein Scheidungs- oder Auflösungsverfahren hängig ist, welches bei Vorliegen der obgenannten Voraussetzungen zum Verlust des Pflichtteilsanspruchs führt.
d) Schenkungsverbot bei Erbverträgen
Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung konnte gemäss bisherigem Recht eine lebzeitige Zuwendung des Erblassers, welche gegen einen früheren Erbvertrag verstiess, von den Vertragsparteien des Erbvertrags nur angefochten werden, wenn die Zuwendung erfolgte, um den oder die Vertragspartner des Erbvertrags absichtlich zu schädigen.
Gemäss neuem Recht können lebzeitige Zuwendungen des Erblassers, die mit dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, ohne den Nachweis einer Schädigungsabsicht angefochten werden. Um eine mögliche Anfechtung der lebzeitigen Zuwendung zu verhindern, muss die Schenkungsfreiheit des Erblassers oder der Erblasser neu im Erbvertrag explizit vorbehalten werden.
Was bedeutet dies für bestehende oder zukünftige Testamente und Erbverträge?
Die Erbrechtsrevision ist am 1. Januar 2023 in Kraft getreten. Eindeutige und widerspruchsfreie Regelungen erleichtern die Nachlassabwicklung enorm und können langjährige Gerichtsprozesse oder Streitigkeiten unter den Erben verhindern bzw. reduzieren.
Es ist somit sehr zu empfehlen, bestehende Nachlassplanungsdokumente zu überprüfen und, sofern notwendig, den neuen erbrechtlichen Bestimmungen anzupassen. Bestehende Testamente oder Erbverträge sind aber weiterhin gültig. Sofern der Erblasser verstirbt, gelten für die vorbestehenden Testamente und Erbverträge grundsätzlich die neuen reduzierten Pflichtteile, unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt diese errichtet wurden.
Wann muss ein bestehendes Testament oder ein bestehender Erbvertrag angepasst werden?
Seit dem 1. Januar 2023 gelten für Testamente oder Erbverträge grundsätzlich die neuen, reduzierten Pflichtteile. Werden Nachkommen z.B. zugunsten des überlebenden Ehegatten bzw. des überlebenden eingetragenen Partners auf den Pflichtteil gesetzt, erhält der überlebende Ehegatte bzw. der überlebende eingetragene Partner drei Viertel statt wie bisher fünf Achtel des Nachlasses. Erachtet ein Erblasser jedoch die nach bisherigem Recht geltenden Pflichtteile als angemessen, muss dies eindeutig aus dem Testament oder Erbvertrag hervorgehen.
Auch im umgekehrten Fall, in welchem ein Erblasser die Anwendung der neuen, reduzierten Pflichtteile will, dies jedoch dem bestehenden Testament oder Erbvertrag nicht eindeutig entnommen werden kann, können Probleme auftreten. Der Inhalt dieser Dokumente bestimmt sich nämlich nach wie vor nach dem Willen des Erblassers bzw. der Vertragsparteien im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments bzw. Erbvertrags. Lassen bestimmte Formulierungen in einem Testament oder Erbvertrag darauf schliessen, dass der Erblasser unter revidiertem Recht anders verfügt hätte, besteht die Gefahr, dass die Erben dies anfechten und diese Bestimmungen nach dem Tod des Erblasser anders ausgelegt und bewertet werden, als vom Erblasser ursprünglich gewünscht. Ob die Bestimmungen in einem Testament oder Erbvertrag unklar sind, ist im Einzelfall zu beurteilen und kann nach dem Tod des Erblasser zu langen Gerichtsverfahren führen.
Um dies zu verhindern ist es wichtig, bestehende Testamente und Erbverträge auf das neue Recht hin zu überprüfen und sofern notwendig anzupassen bzw. zu präzisieren. Hierfür genügt eine die Formvorschriften erfüllende Ergänzung der bestehenden Dokumente, welche verdeutlicht, nach welchem Recht sich die Höhe des Pflichtteils richtet.
Zudem ist insbesondere zu beachten, dass gemäss neuem Recht lebzeitige Zuwendungen, welche gegen einen bestehenden Erbvertrag verstossen, anfechtbar sind. Möchten die Vertragsparteien eines Erbvertrages zu Lebzeiten über ihr Vermögen frei verfügen können bzw. Personen oder Organisationen zu Lebzeiten begünstigen, haben sie dies im Erbvertrag vorzusehen. Tun sie dies nicht, können die übrigen Vertragsparteien des Erbvertrages allfällige Zuwendungen anfechten.
Es ist somit zu empfehlen, dass Personen, welche bereits Testamente oder Erbverträge errichtet haben, diese überprüfen oder ihre Nachlassplanung aufgrund der Erhöhung der Verfügungsfreiheit gemäss neuem Recht überdenken.
PETERER Rechtsanwälte Notare AG ist im Erbrecht spezialisiert und berät Sie bei jeglichen Fragen und Anliegen zu Ihrer Nachlassplanung. Ausserdem unterstützt Sie PETERER Rechtsanwalt Notar AG bei der Überprüfung und allfälligen Anpassung Ihrer bestehenden Nachlassdokumente.
© PETERER Rechtsanwälte Notare AG, März 2021, aktualisiert November 2023